Ein fast menschenleeres Paris – Patrick Modiano: Im Café der verlorenen Jugend

Geschrieben am 19. Juni 2012

Es ist weniger das Café, um das es in diesem Buch von Patrick Modiano geht, sondern eine geheimnisvolle, junge Frau namens Louki, oder Jacqueline Delanque mit bürgerlichem Namen. Das Condé wäre ein ganz normales Pariser Café, wenn nicht eines Tages eben jene Louki in das Leben eines namenlosen Studenten, des Detektivs Caisley und des angehenden Schriftstellers Roland treten würde.

Patrick Modiano wurde 1941 in der Nähe von Paris geboren. Neben dem vorliegenden Dans le café de la jeunesse perdue, sieht Modiano auf eine beeindruckende Publikationsliste zurück, wie z.B. Ein Stammbaum (2005) oder Die Kleine Bijou (2001). 2012 erschien nun Im Café der verlorenen Jugend, wie bereits alle übersetzten Titel seit 1996, im Hanser-Verlag.

Die Geschichte des Buches wird aus vier unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Zum einen ist da der namenlose Student, der sich scheinbar in das Condé verirrte und von den Stammgästen berichtet. Der Leser erhält hier die ersten kargen Porträts der wichtigsten Personen der Geschichte. Dadurch, dass der Student nicht zu den vorgestellten Stammgästen gehört, entgehen ihm aus einem etwas distanzierten Blick kaum Einzelheiten in deren Gebaren, ohne aber, dass allzuviel über sie verraten würde. Zentral ist selbstverständlich das Auftauchen Loukis, die zuerst von den anderen Gästen unbeachtet, sich im Hintergrund aufhält, bald aber deren Freundschaft gewinnen kann. Obwohl das erste Kapitel hauptsächlich über die fremde Schöne handelt, erfährt man nur wenig über sie, was aber den herrlichen Zauber Jacquelines ausmacht. Umso tragischer und im Stil auch unelegant, ist dann die Wahl des zweiten Kapitels.

Hier spricht der von Loukis Ehemann angeheuerte Privatdetektiv Caisley, der die entflohene Ehefrau observieren soll. Der Erzählstil dieses Abschnittes ist zwar treffend sehr technisch gehalten, so fallen Dialoge kurz und zielführend aus, jedoch entzaubert er damit fast die delphische Jacqueline. Hier tritt erstmals ihr richtiger Name auf und einige alltäglichen Dinge entlockt der hartnäckige Detektiv dem verzagten Gatten.

Im dritten Abschnitt erzählt Louki selbst und schildert ihre Jugend mit der im Moulin Rouge arbeitenden Mutter. Die letzten beiden Teile des Romans gehören Roland, dem Geliebten Loukis. Erzählt er zum einen die Geschichte ihrer kurzen Liaison, so handelt der Abschlußpart von der Zeit, als beide bereits getrennt sind und Roland nur noch sehnsüchtig zurück schauen kann.

Modiano versteht es souverän eine melancholische und sehnsüchtige Stimmung zu kreieren. Dies gelingt ihm insbesondere durch die Beschreibung der oftmals menschenleeren Umgebung des Café Condé und der anschließenden Arrondissements, in der die Protagonisten promenieren sowie durch die häufig wortkarg verlaufenden Dialoge. Besonders leise Töne schlägt Louki an, die unsicher und oftmals entzückend naiv daherkommt:

Wir waren beinahe am Fuß der Steigung angekommen, an der Ecke Rue de la Tour-des-Dames. Sie hat gesagt: “Was meinst du, sollen wir nicht ein bisschen Schnee nehmen?” Ich habe den Sinn dieses Satzes nicht ganz verstanden, aber das Wort “Schnee” verblüffte mich. Ich hatte das Gefühl, gleich würde er zu fallen beginnen und die Stille um und herum noch verdichten. (96)

Ein Handlungsstrang innerhalb der Geschichte fehlt fast gänzlich, weshalb die Erzählung – insbesondere in den letzten beiden Teilen – manchmal vor sich hinplätschert. Dennoch ist Im Café der verlorenen Jugend über weite Teile unterhaltsam und im klassischen Sinne schön – also angenehm – geschrieben.

Modiano zeichnet Figuren, die zwar zum einen gewollt blaß bleiben, zum anderen aber genau hierdurch an Schärfe gewinnen. Es sind zumeist gefallene, abseits stehende Geschöpfe, die ihren Platz in der Welt noch suchen oder aber bereits verloren haben – es geht allen um die Suche nach den oft im Roman genannten Fixpunkten:

“Man will eben Bindungen schaffen, verstehen Sie…” Natürlich verstand ich das. In diesem Leben, das uns manchmal vorkommt wie eine große Brachfläche ohne Wegweiser, inmitten all dieser Fluchtlinien und verlorenen Horizonte, würde man gern Bezugspunkte finden, eine Art von Kataster anlegen, um nicht länger das Gefühl zu haben, dass man sich ziellos treiben lässt. (51)

Im Café der verlorenen Jugend ist ein sehr lesenswerter Roman. Die sehnsuchtsvolle und orientierungslose Stimmung des Buches ist hin und wieder etwas zu stark aufgetragen. Modiano ist trotz des “Detektivkapitels”, ein Meister des Nebulösen, denn zwar kreisen die Berichte der Erzähler fast ausschließlich um Jacqueline Delanque, ganz einfangen können sie sie jedoch nicht. Und dies macht den großen Charme des Werkes Im Café der verlorenen Jugend aus.

Patrick Modianos Im Café der verlorenen Jugend umfasst 158 Seiten, ist 2012 im Hanser Verlag erschienen und kostet 16,90 Euro.

Patrick Modiano: Im Café der verlorenen Jugend. Hanser 2012. (Link führt zu amazon.de)