Henri-Pierre Roché – fast nur eine literaturhistorische Fußnote

Geschrieben am 2. März 2012

“Roché ist sein ganzes Leben ein Dilettant geblieben”, so François Truffaut, der Mann, der Henri-Pierre Roché (1879-1959) posthum vor dem Vergessen bewahrte. Stets, so Truffaut weiter, zog Roché die Werke anderer seinen eigenen vor, da er von deren Qualität nicht allzu überzeugt schien. Tatsächlich ist Rochés Schreibstil gewöhnungsbedürftig, was selbstverständlich nicht gleichzusetzen mit mangelnder schriftstellerischer Qualität ist. Insbesondere sein bekanntestes Werk Jules et Jim (dt. Jules und Jim) strotzt vor nüchternen Beschreibungen und teilweise rasanten und wenig greifbaren Ereignisverläufen, die aber dennoch die zerstörerische Leidenschaft der Protagonisten zu transportieren vermögen. Selten kommen die Akteure zur Ruhe, immer, und gerade mit dem Auftauchen des femininen Parts dieser Ménage à trois, wuseln Jules, Jim und Kathe unablässig herum und überlassen sich ihren spontanen Neigungen. Weiterhin ist der Roman mit köstlich skurrilen Szenen gespickt: Herausragend ist hier die Szene in einem Pariser Café, in der Jules seinem Freund Jim von verflossenen Geliebten berichtet:

‘Und es gibt noch eine: Lina, die ich vielleicht lieben würde, wenn ich nicht Lucie liebte. Passen Sie auf, so sieht sie aus.’ Und er zeichnete mit schmalen weichen Strichen ein Gesicht auf den runden Mamortisch. Jim betrachtete dieses Gesicht, während sie sich weiter unterhielten. Dann sagte er zu Jules: ‘Ich fahre mit Ihnen.’ – ‘Um sie kennenzulernen?’ – ‘Ja’ -‘Bravo!’ sagte Jules. Jim wollte den Tisch kaufen, aber der Wirt war nicht bereit, ihn aufzugeben, es sei denn, alle zwölf auf einmal. (22)

Das Aushängeschild der cineastischen Nouvelle Vague, François Truffaut verfilmte insgesamt zwei, seiner drei Romane. Filmemacher und Schriftsteller waren miteinander befreundet. Unglücklicherweise verstarb Henri-Pierre Roché drei Jahre vor der Fertigstellung der sehr gelungenen filmischen Adaption von Jules und Jim. Ohne Truffaut, wäre Roché wohl bereits gänzlich vergessen und unberechtigterweise nur eine Fußnote der französischen Literaturgeschichte.

Über das Leben Henri-Pierre Rochés ist nur wenig bekannt. So hat sich meines Wissens noch kein Biograph Rochés gefunden. Fast zeitlebens war er als Kunsthändler tätig und neben eigenen schriftstellerischen Versuchen, übersetzte er lange Zeit chinesische Gedichte.

Er war mit zahlreichen Kümstlern seiner Zeit bekannt. Auf seiner Freundesliste finden sich illustre Namen, wie Pablo Picasso und Getrude Stein, deren Freundschaft er forcierte, Marcel Duchamp und Arthur Schnitzler. Die wohl wichtigste Begegnung war jedoch die mit Franz Hessel, dem Flaneur par excellence. Deren engen Freundschaft setzte Roché mit seinem Roman Jules und Jim ein Denkmal. Hessel gilt als Vorbild des schüchternen Protagonisten Jules.

Die Romane von Henri-Pierre Roché:

- Jules und Jim. Hamburg 2010.

- Viktor – ein Roman. München 1986.

- Die beiden Engländerinnen und der Kontinent. Frankfurt 2005.