La Mettrie – Die Kunst, Wollust zu empfinden

Geschrieben am 16. Februar 2012

Ein Plädoyer für den Hedonismus

Julien Offray de La Mettrie (1709-1751) gilt als einer der bedeutendsten Radikalaufklärer des Abendlandes. Zahlreiche Zeitgenossen La Mettries verschrieben sich mehr oder minder dem Ansinnen der seriösen Aufklärung, die den Menschen zu eigenständigem Denken anregen und vom Gängelband religiöser Überzeugungen zu befreien versuchten. Einige übertrieben es jedoch dahingehend, dass jeglichen traditionellen Normen abgeschworen werden sollte. Zu nennen seien hier insbesondere frankophone Denker, wie z.B. Marquis de Sade, Denis Diderot und eben jener La Mettrie.

Beim Namen La Mettrie denken die meisten wahrscheinlich an sein vermeintliches Hauptwerk L’homme machine (dt. Der Mensch eine Maschine). Tatsächlich blieb dieses aber das einzige im Bereich der Anthropologie, abgesehen von der wahrscheinlich nicht ganz ernst gemeinten und uninspirierten Publikation L’homme plante (dt. Der Mensch als Pflanze). Vielmehr liegt ein mindestens ebenso großer Fokus der Überlegungen des Radikalaufklärers im Bereich der Ethik.

Hier wird er zumeist unter dem Label moralischer Nihilist geführt und so zu Unrecht in eine Schublade mit dem Meister der sexuellen Monstrositäten, Marquis de Sade gesteckt. Dass La Mettrie nicht nur über einen feinsinnigen Witz verfügt, sondern auch mehr zu bieten hat, als eine De Sadesche Gier nach Destruktion zeigt die Lektüre seines wenig beachteten Werkes Die Kunst, Wollust zu empfinden.

Wie so oft sind die Kernaussagen La Mettries kaum argumentativ begründet, noch explizit. Vielmehr bedarf es einiger Spitzfindigkeit, um die philosophisch relevanten Überlegungen herauszufiltern. Dazwischen finden sich amüsante Schilderungen amourösen Verlangens, bildreiche Darstellungen der Körperreaktionen auf die Ausübung tagesscheuer Liebesfreuden und Hymnen an die Schönheit der Frauen.

Unter anderem in der Kunst, Wollust zu empfinden entwickelte er seine Lehre von den Schuldgefühlen, die besagt, dass uns durch jahrelange Erziehung Scham- und Schuldgefühle eingeimpft würden und sie uns so ziemlich vieler Möglichkeiten des sinnlichen Vergnügens beraubten. Solche Gefühle beruhten auf Normen, die wiederum „widernatürlich“ und damit ungerechtfertigt seien und somit zu Recht verworfen werden müssten. So notiert La Mettrie:

Ihre Triebe werden ihnen weisere Führer sein als die Vernunft, so dass sie nur dem sanften Drang der Natur folgen werden – und dieser kann, da man ihm nicht zu widerstehen vermag, gar nicht kriminell sein. (23)

Der Mensch sollte sich demnach seinem „natürlichen“ Verlangen gänzlich überlassen.

Der Befolgung des „natürlichen Dranges“ wäre die beste und vorzüglichste Antriebsfeder einer jeden Handlung. Liest man La Mettries Wollust-Schrift, so bekommt man schnell den Eindruck, dass unsere Handlungen dann sehr auf Opfergaben an die Venus beschränkt wären. Und tatsächlich ist dies die höchste und wichtigste Weise des gemeinsamen Tuns:

Wer würde sie an diesen Eigenschaften nicht erkennen, die Liebe? Wer würde dieser so bedeutsamen Aktivität der Natur, die alles wachsen, sich vermehren und unablässig sich erneuern läßt, nicht huldigen? Ihr gegenüber erscheinen all die anderen Aktivitäten nur als harmlose Vergnügungen, als Vergnügungen, die sehr wohl notwendig und von der liebe gestattet und sogar angeraten sind, damit man später, wenn man ihr Mysterium zelebriert, frei von ihnen ist. (60f.)

La Mettries Schrift Die Kunst, Wollust zu empfinden ist ein unterhaltsames Plädoyer für den Hedonismus. Aufgrund der luziden Schreibweise bekommt selbst der philosophische Laie hier einen Einblick in das originelle Denken eines „Aufklärers“ voller Esprit, der zumindest seit Erscheinen des Romanes Der Augenblick der Liebe von Martin Walser kein Unbekannter mehr sein dürfte. Vorausgesetzt wird dabei die Bereitschaft zu ausdauernder und eingehender Lektüre des dünnen Bandes.

La Mettries „Aufklärungsbemühungen“ und Offenheit gegenüber zügelloser Ausschweifungen brachten ihn so manches Mal in arge Bedrängnis. Unter Androhung des Galgens musste er nicht nur aus seinem Heimatland Frankreich, sondern auch aus dem sehr liberalen Holland fliehen. Sein letztes Asyl fand er als Leibarzt und Vorleser am Hofe Friedrich des Großen in Potsdam, wo er ein unrühmliches Ende fand: Bei einem Festessen wollte er den anwesenden Gästen die menschliche Genussfähigkeit präsentieren und verschlang mehrere Trüffelpasteten, was ihm zahlreiche Ohnmachtsschübe einbrachte. Den Schilderungen des anwesenden Voltaires zu Folge, lief La Mettrie gelb an und krümmte sich unter heftigen Schmerzen am Boden. Dem Aufruf des Malouinen, ihn zur Ader zu lassen, damit sich sein Körper an diese „kleine Magenverstimmung“ gewöhnen könne, wurde Folge geleistet, konnte allerdings nicht verhindern, dass der philosophische Witzbold einige Tage später verstarb.

Einige ausgewählte Werke La Mettries wurden übrigens im Rahmen des LSR-Projektes ins Deutsche übersetzt.

Zitiert wurde nach der Ausgabe: Julien Offray de La Mettrie: Die Kunst, Wollust zu empfinden. Nürnberg 1987.