Böse und ganz böse Philosophen

Geschrieben am 15. Oktober 2012

Philipp Blom öffnet den Giftschrank der Philosophiegeschichte.

Die Anzahl von Philosophiegeschichten ist beinahe unermesslich. Populärwissenschaftliche Darstellungen der abendländischen Ideengeschichte füllen die Regale von Bibliotheken und Buchläden. Aus dem Konvolut geistiger Strömungen des Okzidents pickt sich der Historiker Philipp Blom eine scheinbar vergessene Epoche der frankophonen Philosophie des 18. Jahrhunderts heraus: Gemeint ist die Hochzeit der französischen Radikalaufklärung. Zentral für seine Darstellung ist der Salon des deutschen Philosophen Paul Thiry d’Holbach (eigentlich Paul Heinrich Dietrich Holbach), der Treffpunkt der europäischen Philosophenelite wurde und zahllose Denker, wie Rousseau, Hume und Beccaria zu Wein und anregenden Diskussionen subversiven Gedankenguts einlud. Nicht fehlen darf dabei der Streit Rousseaus mit den Holbach-Kreis und dessen Sympathisanten, der im Briefstreit zwischen Hume und Rousseau kulminierte und für Monate die Philosophenwelt beschäftigte. Die offenbar paranoiden Anwandlungen eines Jean-Jacques Rousseau bilden ein Hauptaugenmerk innerhalb der Ausführungen Bloms.

Der Titel des Buches von Blom Böse Philosophen ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen, denn die genannten Denker, vor allem Holbach und Denis Diderot, gelten zu Lebzeiten als ketzerische Intellektuelle, die tradierte Normen umwerfen wollen und durch ihre Forderungen nach einer Orientierung der Ethik am Hedonismus die Belange der seriösen Aufklärung ins Extrem führten und so zu einer existenziellen Bedrohung für Staat und Religion wurden.

Das Buch ist in drei Hauptkapitel untergliedert, die hauptsächlich die Protagonisten und einzelne Sympathisanten des Holbach-Kreises abhandeln. Komplettiert werden die Darstellungen durch die Rekonstruktion der philosophischen Kernideen und die Beziehung zum Salon. Abgerundet wird das Werk durch ein Prolog des Autors, in dem er seine grundlegenden Überzeugungen assoziativ darlegt, einen Epilog, in dem Blom das posthume Wirken der Radikalaufklärung französischer Couleur nachzeichnet und einigen weitergeführten Gedanken aus dem Prolog sowie einem Glossar der wichtigsten Personen und einigen Literaturempfehlungen.

Blom gelingt es durch lebendige Zeichnungen der damaligen politischen und geistigen Begebenheiten in eine Epoche einzuführen, die von umstürzlerischen Gedanken, die lange Gefängnis- oder sogar Todestrafen nach sich zogen, nur so überquoll. Irritierend dabei ist jedoch der von Blom gewählte Untertitel Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung und sein mehrmalig ausgedrücktes Bedauern, dass die Werke der Radikalaufklärer in Vergessenheit geraten sind. Tatsächlich sollte ihm bei seinen Recherchen aufgefallen sein, dass die Radikalaufklärung, insbesondere die französischsprachige, ein viel diskutiertes Thema innerhalb akademisch-philosophischer Auseinandersetzungen ist. Als prominente Beispiele sind hier u.a. Panajotis Kondylis, Winfried Schröder, Jonathan Israel und Ursula-Pia Jauch zu nennen. Zudem plant der Suhrkamp-Verlag für Anfang nächstes Jahres einen Sammelband zur Radikalaufklärung. Dass Diderot innerhalb der Forschung weniger Beachtung als Radikalaufklärer bekommt, liegt einfach daran, dass er kein genuin philosophisches Hauptwerk verfasste, sondern vor allem kurze Aufsätze und einzelne Bonmots, die jedoch wenig philosophische Raffinesse vorweisen können. Interessanter und ergiebiger sind dahingehend eher die Schriften eines La Mettries, der spätestens mit Friedrich Albert Langes Geschichte des Materialismus in Deutschland wiederentdeckt wurde.

Etwas reißerisch und plattitüdenhaft ist die Einleitung gelungen. Hier wettert Blom nicht nur gegen das Vergessen der Radikalaufklärung, sondern insbesondere aus dem daraus folgenden unreflektierten Verharren in religiösen Traditionen. So beteten wir zwar keine Götter mehr an, deren Stellung im Raum des Heiligen nähmen nun aber angeblich Topmodels und andere Werbebilder ein. Dem Leser steigt die Schamesröte ins Gesicht angesichts folgender Äußerungen:

Von der scheinbar ultrasäkularen Welt der schmierigen Verführung zu den flammenden Predigten, die von der Kanzel herab alle Sinnlichkeit mit Höllenfeuer bedrohen, ist es nur ein kurzer Weg, und auch unsere Selbstwahrnehmung hat sich noch nicht von dieser Logik befreit. Man könnte meinen, dass die Werbebilder, mit denen wir pausenlos bombardiert werden und die fast ausnahmslos junge, schlanke, reiche und ungeheuer glückliche Menschen zeigen, mehr mit der sinnlichen Philosophie eines Epikur gemeinsam haben als mit der lustfeindlichen Lehre der Ecclesia, aber tatsächlich macht ihre Unerreichbarkeit diese Bilder zu religiösen Ikonen. […]Die Ikonen unserer Tage zeigen durchtrainierte und per Computer optimierte Modelle anstelle von Heiligen, aber ihre Funktion ist dieselbe geblieben: Sie unterminieren den Wert unseres eigenen Lebens, wecken Schuldgefühle, demütigen uns und fordern uns gleichzeitig auf, unser Leben einem unmöglichen Ideal zu widmen, einer lebensfernen Vision vom ewigen Glück und perfekter Gesundheit, von sonnengebräunter Jugend und inszenierter Eleganz, von Coolness und Reichtum statt kirchlichem Segen. (21f.)

Die einzige Rettung bestünde, laut Blom, in einem rigorosen Bekenntnis zum Atheismus und zum Materialismus, also zu den Überzeugungen seiner aufklärerischen Helden. Leider missversteht er aber einige Belange der französischen Radikalaufklärung. So schreibt er auf Seite 16:

Anders, als die Kritiker immer wieder warnten, führten die Lehren der radikalen Aufklärer nicht zu wilden Orgien, ungezügelter Gier und haltlosem Hedonismus, sondern zu einer Gesellschaft, die von gegenseitigem Respekt getragen war

Dies ist jedoch nur teilweise wahr. Erinnert sei an die zahllosen Schmuddelkinder der Radikalaufklärung, wie La Mettrie oder Marquis d’ Argens, ganz zu schweigen vom Meister der Monstrositäten: Marquis de Sade, der keine Abscheulichkeit als Möglichkeit zur Lustgewinnung ausließ.

Der Einleitung folgt eine anekdotenreiche und abwechslungsreiche Darstellung der Hochzeit der französischen Radikalaufklärung um Holbachs Salon. Detail- und kenntnisreich erzählt Blom über das geistige Klima des mittleren 18. Jahrhunderts. Aufhänger hierfür sind zumeist bekannte und weniger prominente Philosophen, Politiker und Literaten aus ganz Europa, wie Beccaria, Benjamin Franklin, Hume, Sterne, Abbé Ferdinando Galiani und d’Alembert. Zudem werden einige geistige Paten behandelt, die zwar nicht zur Zeit des Holbach-Kreises lebten, dennoch als Impuls- und Ideengeber des Salons angesehen werden können, wie Spinoza und Pierre Bayle.

Selbstverständlich ist ein Kapitel der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert gewidmet, in dem Blom über deren Zwecke und die damit einhergehenden Gefahren durch das lexikalische Monumentalwerk berichtet. Man bekommt zudem im Laufe der Lektüre einen Einblick in die alltäglichen und ganz weltlichen Sorgen der Protagonisten, die, von einem fast ungehemmten Idealismus getrieben, sich familiären und finanziellen Querelen und Widrigkeiten sowie der stetigen Bedrohung durch Gesetz und Kirche gegenübersahen. In diesem Rahmen taucht immer wieder der Name Jean-Jacques Rousseaus auf, der von Blom nonchalant nur “Jean-Jacques” genannt wird. Er kristallisiert sich als ein Abtrünniger heraus, der sich bereits in frühen Jahren zum Gegner und später auch zu einer großen Gefahr für Diderot und Holbach wandelte. Insbesondere der Veröffentlichung seiner autobiographischen “Bekenntnisse” wurde mit Bangen erwartet, denn hierin rechnete Rousseau mit seinen ehemaligen Freunden ab und ihr Ansehen und ihre Prominenz schien hierdurch gefährdet. Laut Blom ist genau dies eingetreten, weshalb er auch vom “vergessenen Erbe” Holbachs und Diderots spricht. Die Motive für Rousseaus Abkehr vom Salon führt Blom leider unreflektiert oftmals auf pathologische Ursachen zurück. Er verleiht Rousseau somit das Label eines einsamen Irren: U.a. “Die Schlussfolgerungen, zu denen Rousseau kam, waren allerdings schon paranoid verzerrt.” (154) Durch diese Engführung verkommt Ideengeschichte zur Krankengeschichte und rückt philosophische Argumente zu sehr in den Hintergrund. Etwas mehr Fingerspitzengefühl und unvoreingenommene Lektüre der Rousseauschen Schriften wäre hierbei wünschenswert gewesen um haarsträubende Thesen, wie Rousseau sei Inspirationsquelle von Hitler und Stalin gewesen, zu vermeiden:

Rousseaus pathetic fallacy hatte kosmisches Format, denn er ging instinktiv davon aus, dass die ganze Welt gegen ihn sei und ihn vernichten wolle, und aus dieser Furcht heraus formulierte er eine Philosophie, die auf den ersten Blick aussieht wie eine Verteidigung der menschlichen Freiheit und Würde, auf den zweiten Blick aber ein zutiefst pessimistisches Menschenbild und die Fundamente einer repressiven und äußerst brutalen Gesellschaftsordnung erkennen lässt. Auf Schuldgefühlen und Paranoia basierend, ebnete diese Philosophie der Unterdrückung im Namen hehrer Ideale den Weg für die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts. (18)

Trotz der genannten Mängel ist Philipp Bloms Böse Philosophen eine lesenswerte, allerdings rein populärwissenschaftliche Einführung in die Geschichte der frankophonen Aufklärung. Sie besticht durch einen offenbar hohen Rechercheaufwand, der sich in zahllosen Anekdoten und Schilderungen zwischenmenschlicher Beziehungen niederschlägt. Es gelingt dem Autor so ein lebendiges Bild der Zeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich zu zeichnen.

Philipp Bloms Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung ist 2011 im Hanser-Verlag erschienen. Es umfasst 400 Seiten und kostet gebunden 24,90 Euro.

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