Paris – Die Heimat des Flaneurs

Geschrieben am 28. Januar 2012

Flanieren ist eine besondere Form des Spazierengehens. Beide sind wiederum Unterarten des Wortes Gehen und bezeichnen so zwei unterschiedliche Typen der füßischen Fortbewegung. Mit dem Wort Gehen wird eine Fortbewegungsart bezeichnet, deren Zweck es ist, ein Ziel B von einem Ausgangspunkt A zu erreichen. Flanieren und das Kompositum Spazierengehen haben solche Zwecke nicht. Vielmehr zeichnen sich der Spaziergänger und der Flaneur dadurch aus, dass sie wahre Irrfahrten (oder -gänge) unternehmen, da sie stets dem subjektiv interessanteren Weg folgen, bald hier, bald dort eine Pause einlegen und so ziellos und gemächlich durch Städte und Natur vagieren.

Beiden unterliegt ein klassisches anthropologisches Proprium: der aufrechte Gang. Erst dieser erlaubte es der Frau Handtaschen und dem Mann Regenschirme und Gehstöcke zu tragen sowie seine holde Begleiterin im Arm zu halten. Ohne diese Tätigkeiten wäre das Flanieren und insbesondere das Spazieren schlechterdings unmöglich.

Inwiefern unterscheidet sich nun aber der Flaneur vom Spaziergänger? Dem Flaneur hängt eher eine negative Assoziation an. Durch sein langsames Fortschreiten und durch seinen umherschweifenden Blick, der ihn immer wieder zu andächtigen Pausen und gründlichen Beobachtungen veranlasst, versperrt er dem geschäftstüchtigen und ruhelosen Gehern den Weg. Sein grundsätzlicher Müssiggang gibt großen Anreiz, ihn als Faulpelz zu deklamieren. Der Flaneur tritt zumeist ohne Begleitung in Erscheinung, die ihn nur in seinen reflektierenden und einfühlenden Observationen stören würde. Kein Gebäude, kein Vorgang und keine Person bleibt seinem Blick verborgen. Jedes Geschehen kann seine Einbildungskraft entzünden und sich in einem künstlerischen Werk niederschlagen. Seine beneidenswerte analysierende Aufmerksamkeit rehabilitiert sein Image und macht ihn zum Inbegriff des Künstlers.

Paris ist die Heimat des Flaneurs. Wo sonst läßt sich so sehr dem umherschweifenden Müßiggang frönen? Entlang der Seine, durch Montmartre und andere Künstlerviertel oder über die touristisch überlaufene Avenue des Champs-Élysées, überall herrscht eine besondere Atmosphäre, die geradezu zur Kreativität reizt. So notierte bereits Walter Benjamin (1929):

Wenn Giraudox recht hat und es das höchste menschlicher Freiheitsgefühle ist, schlendernd dem Lauf eines Flusses zu folgen, führt hier noch der vollendetste Müßiggang, die beglückteste Freiheit also, zum Buch und ins Buch hinein. Denn über die kahlen Seine-Quais hat sich seit Jahrhunderten der Efeu gelehrter Blätter gelegt: Paris ist ein großer Bibliothekssal, der von der Seine durchströmt wird.

Dass dies nicht nur Benjamin wußte, zeigen die heute zahlreichen literarischen Touren durch Paris, die sich thematisch an ganzen Literaturepochen oder an einzelnen Autoren orientieren. Einen guten Eiblick über die angebotenen Führungen geben diese Webseiten:

Hemingway-in-Paris-Tour – Hemingway ist der Aufhänger dieser Tour. Es werden zahlreiche Orte besucht, wo er gelebt, gearbeitet und mit anderen Künstlern verkehrt hat, so z.B. Getrude Steins Atellier oder die Dingo Bar, wo sich Hemingway und Fitzgerald kennenlernten.

Paris-Walks – Eine Angebot umfasst die Besuche aller Orte  aus Hemingways Werk “Paris – Ein Fest fürs Leben”. Die Seite bietet aber noch zahlreiche andere sehr interessante Touren an.

Literarisch-reisen – Die wohl umfassenste aller Touren. Die Orte, wo Heine, Balzac, Wilde, Sartre, Picasso und viele andere gewohnt und gearbeitet haben, werden besucht. Die 4-tägige Reise ist nicht ganz billig, allerdings ist im Preis eine “Reisekofferspezialbibliothek” enthalten.