Jean Cocteau – Ein Kind der Nacht

Geschrieben am 20. August 2012

Rauscherfahrungen

Wie könnte ein Versuch aussehen, die eigene Jugend festzuhalten? Eine Möglichkeit schildert Jean Cocteau (1889-1963) in seinem Roman Kinder der Nacht (frz. Les enfants terribles). Er gewährt einen Blick in das dunkle Reich der Geschwister Elisabeth, der älteren Schwester, und Paul, die sich Zeit ihres Lebens in einem nahezu drogenähnlichen Wachtraum befinden und sich, bis auf wenige Ausnahmen, in einem Zimmer ihrer verstorbenen Eltern isolieren. Umgeben von Alltagsgegenständen, die zu Kultobjekten werden, seltsamen Ritualen und ausufernden Phantasien spinnen sich beide heranwachsenden Kinder ihren eigenen Mikrokosmos. Das Projekt der Konservierung der Jugendzeit scheitert letztlich und führt das Geschwisterpaar in den kollektiven Selbstmord. Davor stehen Hasstiraden, Verzweiflung, Liebe, Intrigen, Sex und der Wunsch nach gegenseitiger Zerstörung.

Bis auf wenige Ausnahmen trägt Cocteaus Œuvre autobiographische Züge. So auch Kinder der Nacht. Cocteau beendete in gerade einmal drei Wochen einen seiner wichtigsten Romane. Sichtbar gezeichnet von exzessivem Opiummißbrauch beendete Cocteau Kinder der Nacht 1929 während eines Drogenentzuges in der Klinik Saint-Cloud.

Auch seine Protagonisten verfallen irgendwann dem Rauschgift und steigern sich immer weiter in ihre Traumwelten. Der Verfall schleicht unaufhörlich voran und das Rauschgift verdrängt die vorher streng gehüteten Kultobjekte.

Für Cocteau nahm die Droge, die aus unterschiedlichen Mohngewächsen gewonnen wird, schon früh einen zentralen Platz im Leben ein. Nicht nur literarisch, sondern auch malerisch schuf Jean Cocteau dem Opiumrausch ein Denkmal. So zeigt eine seiner vielen Zeichnungen einen Mann, dessen Sinnesorgane durch Opiumpfeifen ersetzt wurden und stellen so die ganzheitliche Einnahme der Sinneswahrnehmung durch den Opiumrausch dar. Jede Empfindung findet nur noch mittelbar statt.

Cocteau gelingt in Kinder der Nacht eine außerordentliche und bemerkenswerte Darstellung der Veränderung der Persönlichkeit, der Gemütsverfassung und der Wahrnehmung durch die Einnahme von Rauschgift und steht damit in einer Reihe mit Klassikern, wie Stevensons Dr. Jekyll and Mr. Hyde, Baudelaire Die künstlichen Paradiese und Hermann Hesses Steppenwolf.

 

Jean Cocteau: Kinder der Nacht. Stuttgart 2010. (Link führt zu amazon.de)