Denis Diderot – Nicht nur ein Radikalaufklärer

Geschrieben am 21. Juli 2012

Diderots Kunsttheorie in “Versuch über die Malerei”.

Denis Diderot (1713-1784) ist zweifellos einer der Lichtgestalten der französischen Radikalaufklärung, die die Anliegen der seriösen Aufklärung eines Kants oder Mendelssohns ins Extrem weiterführte. Von den zahllosen Schriften Diderots sind wohl insbesondere seine Romane, wie Jacques der Fatalist und sein Herr und Die Nonne, bekannt. Über all seinen Schriften thront selbstverständlich seine mehrbändige Encyclopädie, die die weltweit erste ihrer Art war. Diderots Ansinnen war es, dass gesammelte Wissen der Menschheit in einem Nachschlagewerk zu vereinen, allerdings nicht ganz frei von einer atheistischen Grundstimmung. Diderot gelang es über Jahre hinweg, die größten Geister seiner Zeit zu diesem Großprojekt zu gewinnen. Unter den Autoren der Encyclopädie finden sich deshalb so illustre Namen, wie Montesquieu, Rousseau, d’Holbach oder Voltaire. Es ist erstaunlich wie produktiv Diderot selbst zur Zeit der Arbeit an seinem Monumentalwerk war: Romane, philosophische Abhandlungen, Theaterkritiken und ästhetische Betrachtungen finden sich in seinem Œuvre in der Zeit zwischen 1747 bis 1772. So spürte er u.a. einem möglichen Sprachursprung nach (Brief über die Taubstummen, 1751), schrieb Dramen, die damalige Theaterauffassungen revolutionierten (Der Hausvater, 1758) und ließ sich über den damaligen französischen Kulturbetrieb aus (Rameaus Neffe, 1776 [wurde kurioserweise zuerst 1805 von Goethe ins Deutsche übersetzt, um dann wiederum ins Französische übersetzt zu werden. Die französische Erstausgabe wurde deshalb später als die deutsche Version veröffentlicht.]).

Schriften, wie z.B. sein ebenfalls von Goethe übersetztes und kommentiertes Werk Versuch über die Malerei, gehört zu Diderots schönsten Schriften, ist aber vergleichsweise eher unbekannt. Weitschweifig und beispielreich, ohne aber seine Hauptthese aus den Augen zu verlieren, erläutert Diderot seine Kunsttheorie, die den Ausführungen Lessings über Malerei beinahe gleichkommt. Beschreibt Lessing in seinem fragmentarisch gebliebenen Laokoon das Verhältnis von Malerei und Poesie, so beschränkt sich Diderot in seiner kleinen Schrift auf die bildenden Künste, wobei im Folgenden nur die Ausführungen zur Malerei berücksichtigt werden sollen, da das kurze Kapitel zur Architektur nur marginale Punkte zu Diderots Kunsttheorie hinzufügt.

Lessing unterscheidet beide Kunstgattungen durch ihre Nähe zur Natur, wobei die Malerei als sichtbare Kunst eine größere Nähe zu natürlichen Vorbildern hätte, als dichterische Werke. Denis Diderots Slogan über die bildenden Künste lautet ganz ähnlich:

Wenn die Ursachen und Wirkungen uns völlig anschaulich (évidents) wären, so hätten wir nichts Besseres zu tun, als die Geschöpfe (étres) darzustellen, wie sie sind; je vollkommener die Nachahmung wäre, je gemäßer den Ursachen, desto zufriedener würden wir sein. (636)

“Wahre” Kunst bestünde demnach in der scheinbar bloßen Abbildung natürlicher Motive und Objektkonstellationen. Dies treibe Diderot beinahe zur Nivellierung von Kunst und Natur, was Goethe in seinem Kommentar zum Versuch über die Malerei monierte: “Ein Maler wäre dann nur ein Gehilfe der Physiologie oder Anatomie, da er allein deren neuesten Erkenntnisse zeichnerisch darstellen würde.” (vgl. Goethe 233) Tatsächlich sind aber anatomische Zeichnung, auch bereits im 18. und 19. Jahrhundert stilisiert, wogegen Diderot ja gerade angehen will. Für ihn sind manierierte und idealisierte Darstellungen von Objekten eben eine Verirrung der Kunst. So wettert Diderot über die damaligen Kunstakademien, die ihre Studenten zu einem überhöhten Stil anhielten:

Die sieben Jahre, die man bei der Akademie zubringt, um nach dem Modell zu zeichnen, glaubt ihr die gut angewendet? Und wollt ihr wissen, was ich davon denke? Eben während dieser sieben mühseligen und grausamen Jahre nimmt man in der Zeichnung eine Manier an; alle diese akademischen Stellungen, gezwungen, zugerichtet, zurechtgerückt, wie sie sind, alle die Handlungen, die kalt und schief durch einen armen Teufel ausgedrückt werden und immer durch ebendenselben armen Teufel, der gedrungen ist, dreimal die Woche zu kommen, sich anzukleiden und sich durch den Professor wie eine Gliederpuppe behandeln zu lassen, was haben sie mit den Stellungen und Bewegungen (actions) der Natur gemein? Der Mann, der in eurem Hofe Wasser aus dem Brunnen zieht, wird er durch jenen richtig vorgestellt, der nicht dieselbe Last zu bewegen hat und mit zwei Armen in der Höhe auf dem Schulgerüst diese Handlung ungeschickt simuliert? (638)

Schönheit in der Kunst, sei demnach gleichzustellen mit der Wahrheit, also einem Sujet, das mit einem natürlichen Szenario korrespondiert. Diderot formuliert nur wenige Normen, für das Gelingen einer wahren und damit schönen Kunst: So sei u.a. darauf zu achten, dass weder zwei oder mehr Handlungen in einer Komposition auftauchen, noch dass abstruse Kombinationen dargestellt werden. Malerisch und auch bildhauerisch wiedergegebene Begebenheiten müssten hochgradig realistisch sein. So sei das Denkmal von Pigalle auf dem Place Royal in Reims ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte:

Was soll diese Frau, die einen Löwen an der Mähne führt, neben einem Lastträger, der auf Ballen ausruht? Die Frau und das Tier kommen auf den eingeschlafenen Lastträger zu, und ich bin mir sicher, dass ein Kind bei diesem Anblick ausrufen würde: “Mama, die Frau da will den armen Mann, der da schläft, von dem wilden Tier auffressen lassen!” (675)

Diderot rät seinem Landsmann lakonisch, das Problem mit einem Hammer zu lösen.

Die wenigen Normen, die Diderot aufstellt, will er jedoch umso stärker berücksichtigt wissen. Anhand dieser Direktiven zeigt sich der tatsächliche Kern der Diderotschen Kunsttheorie. Kunst ist eben kein sklavisches Abbilden natürlicher Begebenheiten, wie es ihm Goethe unterstellt. Denis Diderot gesteht dem Künstler selbstverständlich einen kreativen Schaffensprozeß zu, jedoch unter der Vorgabe, realistische, damit wahre und schlußendlich schöne Kunst zu schaffen. Ihm gelingt es durch diese Begriffsbestimmung, die Alltagsprädikate “schön”, im damaligen Sinne verstanden als “naturschön”, und “häßlich” aus der Kunstkritik zu verbannen.

Zur Anwendung kommen seine entwickelten Prinzipien in seinen Salon-Schriften ab dem Jahre 1761, mit denen er die moderne professionelle Kunstkritik begründete. Diese Berichte aus Ausstellungen der Pariser Kunstakademie, strotzen vor wilden Spekulationen, niederschmetternden Urteilen und höchsten Lobpreisungen. Diderot schildert aufs Genaueste, was er sieht. Interessant dabei ist, ihm beim Denken “zuzuschauen” und die Weise seiner Kunstbetrachtungen nachzuvollziehen: Jedes Sujet fasst Diderot als literarische Szene auf, die vorhergehende und nachfolgende Szenen hat. Er korrigiert oder spinnt die Szenen weiter und bewertet vor diesem Hintergrund das jeweilige Stück Genremalerei. Er betrachtet Gemälde unter literarischen Aspekten und es gelingt ihm so, bildnerische in literarische Kunst zu übertragen.

Der Versuch über die Malerei ist eine der wichtigsten ästhetischen Schriften Denis Diderots. In Verbindung mit seinen Salons bietet der Text einen unterhaltsamen Einblick in die Kunstbetrachtung der damaligen Zeit, die dank Diderot langsam ihren Kinderschuhen entwuchs.

 

Literatur

Denis Diderot: Versuch über die Malerei, in: ders.: Ästhetische Schriften Band I, hg. von: F. Bassenge. Berlin und Weimar 1968.

J. W. v. Goethe: Diderots ‘Versuch über die Malerei’, in: ders. Goethes Werke, hg. von: R. Buchwald. Stuttgart 1960.