Das Paris Syndrom oder verzweifelte Japaner in Paris

Geschrieben am 29. November 2011

Paris ist eines der beliebtesten Reiseziele für Asiaten und von allem für Japaner. Einmal in seinem Leben muss man in der romantischen Stadt der Liebe gewesen sein, über die man so viel gehört, gelesen und gesehen hat. So brechen Jahr für Jahr hunderttausende auf, das französische Lebensgefühl näher kennen zu lernen. Nicht nur für einen Kurztrip nach Paris sondern tausende auch um ein Jahr dort zu Leben, zu Arbeiten oder zu Studieren.

Doch das Bild von Paris in Japan ist ein von Werbung und Klatschblättern dermaßen überzeichnetes, dass es jedes Jahr bei nicht gerade wenigen Japanern zu einem großen Schock kommt, wenn sie denn dann im Land der Träume angekommen sind, dass es bereits seit 1986 eine feste Bezeichnung dieser psychischen Erkrankung gibt: das Paris Syndrom. Hiroaki Ota hat dieses Phänomen als erster beschrieben. Der Japanische Arzt, der in Paris praktizierte hat die Häufung von Japanern festgestellt, die an Halluzinationen leiden, leichte bis schwere Paranoia hatten und sich nicht mehr aus ihren Hotelzimmern oder Appartements trauten. Diese Patienten waren zum großen Teil zuvor nie auffällig oder anfällig für psychische Erkrankungen gewesen und so entdeckte er dieses neue Paris Syndrom.

Es wird ausgelöst aus dreierlei Komponenten. Zu einen die schone erwähnte völlige Überhöhung von Paris in den japanischen Medien und die damit zusammenhängende Enttäuschung der japanischen Besucher vom Pariser Alltag. Des weiteren die zum Teil große Kluft zwischen französischer und japanischer Kultur und Werten. Gilt Höflichkeit in Japan zu den Grundlagen von allem, und nimmt man dann die übel gelaunten und nun gar kein bisschen höflichen Kellner und Portiers in Paris hinzu, kann man sich den Schock vorstellen, der im Extrem zu eben dem Parissyndrom auswachsen kann. Denn die Patienten haken nicht wie wir den Vorfall nach einigen Minuten Ärger ab, sondern beziehen diese alltäglichen Vorkommnisse auf sich und ihr Selbstwertgefühlt. Ich kenne die japanische Kultur zu wenig, um mir vorstellen zu können, was genau das bedeutet, aber wenn man sich verdeutlicht, dass in Japan die Gruppe weitaus mehr wert hat als das Individuum und alles in der Gruppe unternommen wird, dann versteht man vielleicht schon, dass dieser Schock nicht nur eine Enttäuschung ist, die jeder Mal im Urlaub macht, wenn das Fleckchen Erde zu dem man immer unbedingt wollte, doch nicht so atemberaubend ist, wie man dachte.

Für mich persönlich war Wien so ein Erlebnis. Eine Stadt, die immer wundervoll und geheimnisvoll in meinen Erinnerungen und Erfahrungen vor allem aus Büchern war, entzauberte sich in den wenigen tagen, die ich dort war. Andere wiederum lieben diese Stadt und fahren hin, wann immer sie können. Ich fahre lieber nach Paris. Obwohl ich wie viele Japaner kaum Französisch spreche und deshalb manches eben Schwierig ist in Paris mit immer noch vielen Franzosen, die es in ihrem Selbstverständnis gar nicht einsehen wollen, Englisch zu sprechen. Aber ich bin darauf eingestellt und komme aus einer Kultur, die ebenso den Individualismus preist.

Für viele Japaner, immerhin ca. hundert pro Jahr, die an dem Syndrom erkranken und tausende mehr, die sehr Enttäuscht wieder nach Hause fliegen, ist Paris kein Traum, sondern Alptraum geworden. Vielleicht denkt man an das Gebot der Höflichkeit, was es ja auch bei uns gibt, nur vielleicht in diesem Ausmaß, wenn man das nächste Mal durch ein Horde wild filmender und fotografierender Japaner pöbelt, die natürlich immer da stehen bleiben, wo es am meisten stört.